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Francisco Welter-Schultes: Umweg nach Cayenne

 

Eine Fortsetzungsgeschichte auf 739 Internetseiten.

 

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35 - El pero del sábado - ein Lächeln in Buenos Aires

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Die Argentinier waren Lebenskünstler. Estela hielt sich in der Wirtschaftskrise als Privatlehrerin für Englisch und Französisch über Wasser. Sie sprach sogar ein paar Worte Deutsch und hatte im Neuquén Kassetten ihrer Grossmutter aufgenommen, alte Erzählungen auf Mapuche, die sie nun versuchte zu verstehen. Aber es war offenbar nicht einfach. Sie musste noch besser Mapuche lernen.
Sie liebte die Gegend, aus der ihre Vorfahren kamen. An der Wand ihres dunklen Ein-Zimmer-Appartments im dritten Stock eines achtstöckigen Wohnblocks, dessen einziges Fenster in der Küche den Blick auf eine zwei Meter entfernte Hausmauer zuliess, hing eine kleine Postkarte mit einem Landschaftsmotiv aus dem Neuquén. Dieses Bild mochte sie besonders.
In dieser Zeit sah ich das Leben immer mehr als eine Aneinanderreihung von Lektionen, die ich zu lernen hatte. Auch mein Besuch bei Estela stand von vornherein unter diesem Vorzeichen.
Ich ging gerne durch die Stadt spazieren und fand dabei auch die Wohnung von Willy Moral, der zufällig nur ein paar Strassen weiter wohnte. Buenos Aires durchströmte besonders an den Abenden eine ganz besondere Atmosphäre, die es nur in dieser Stadt gab. Die Parks, die warme Strassenbeleuchtung und das stadteigene Strassenpflaster fügten sich in einer liebevollen Komposition zusammen, die fast ein bisschen morbide wirkte. Wie der Glanz einer vergangenen Zeit.
Ein besonderes Erlebnis war ein Besuch in der öffentlichen Stadtbücherei, die bei der Plaza de Mayo im Herzen der Hauptstadt lag und in der ich tatsächlich Sandokan von Emilio Salgari fand. Eine öffentliche Bücherei in Buenos Aires.
Schüchtern war Estela sicherlich nicht. Etwas zurückhaltend vielleicht, aber als verklemmt oder schüchtern hätte ich sie nicht bezeichnet.
Nicht immer war ich sensibel und rücksichtsvoll genug und konnte mich nur schwer in die Empfindungen anderer hineinversetzen. Estela hatte mir spontan angeboten, einfach im Schlafsack neben ihr zu schlafen und sagte auch nichts dazu, dass ich nackt schlief. Ich hätte es nicht gemacht, wenn ich mich nicht bei ihr wohl gefühlt hätte - das musste sie gespürt haben, und auch, dass ich mir nichts dabei dachte. Aber sie musste auch gespürt haben, dass ich, ohne dass sie etwas sagen musste, in wenigen Monaten von alleine begreifen würde, dass ich sensibler hätte sein und sie vorher fragen können.
Sie mochte es genauso wie ich, Texte von einer Kassette abzuschreiben. Die Idee erinnerte mich irgendwie an meine eigene Geschichte vom Dezember 1982, wo wir M-K's lange Erzählungen auf Kassetten aufgenommen hatten. Die Mapuche-Texte waren kaum zu verstehen. Englisch war aber auch nicht viel einfacher. Wir hörten We are the champions von Queen und versuchten, den Text herauszuhören. Eine andere Kassette mit romantischer Musik gefiel uns auch sehr gut. Don't you know - they're talking about a revolution it sounds... Wir wussten nicht, von wem die Lieder gesungen wurden, aber es klang schön.
Tracy Chapman.
Claudia hatte mir in Río Grande die Adresse ihrer Eltern in Buenos Aires aufgeschrieben. Estela hatte wie ich diese Art, sich spontan eine knifflige Aufgabe in den Kopf zu setzen und zu versuchen, sie zu lösen. Perón Ecke Italia im Stadtviertel San Miguel hiess die Adresse. Ich wusste auch nicht, warum ich dorthin wollte, aber vielleicht interessierte mich einfach nur, aus was für einer Familie das Mädchen wirklich kam. Wir fuhren zu zweit mit S-Bahn und micros hin und irrten eine halbe Stunde durch das Wohnviertel, bis wir resigniert aufgaben. Die Adresse schien es nicht zu geben.

An einem Nachmittag hatte sie frei und wir fuhren mit der S-Bahn in den Vorort El Tigre. Auf einer humorvollen Ebene verstanden wir uns schon nach wenigen Tagen so gut wie ein jahrelang verheiratetes Ehepaar. Ich zog sie mit Menem-Sprüchen auf und sie mich mit denen von Angeloz, weil sie für die Radikalen war. In Argentinien klangen Wahlkampfsprüche wie se puede (es ist machbar) etwas weniger verbissen als in den Ländern, wo sich Sozialisten und Bürgerliche gegenüber standen. In Argentinien war von vornherein klar, dass es eigentlich nur um die Macht ging. Politisch aktive Menschen mit Idealen von sozialer Gerechtigkeit gab es nicht. Woher auch, sie waren ja alle ermordet worden.
Eigentlich konnten Frauen mit meiner Art von Humor eher wenig anfangen, doch bei Estela war ich überrascht, wie gut sie darauf eingehen konnte. Wie ich hatte sie oft verschiedene Dinge gleichzeitig im Kopf, wirkte häufig abwesend und konnte sich manchmal nur schwer auf ein Gespräch konzentrieren. Niemand konnte so etwas besser verstehen als jemand, dem es genauso ging.
Kurz vorher hatte sie mir professionell erklärt, dass r und rr im Spanischen zwei verschiedene Konsonanten waren. Pero (= aber) durfte nicht verwechselt werden mit perro (= Hund). Nun ging es darum, ob wir am Samstag etwas unternehmen wollten und wenn ja, was. Ich fand es niedlich, wenn sie nicht ganz bei der Sache war, und wiederholte geduldig noch einmal, dass es um den Samstag ging. Irgendwas hatte sie sagen wollen.
- Also am Samstag-
- Am Samstag. El sábado.
- Ja, am Samstag. Am exakten Samstag.
- Richtig, wir könnten etwas am Samstag machen, aber- aber-
- Aber?
- Aber-
- Jetzt kommt das Aber. Das Aber vom Samstag. El pero del sábado.
- El pero del sábado-
- Ja, was ist denn jetzt el pero del sábado?
- El pero del sábado... - el pero del sábado... - que no es el perro del sábado-
Nicht zu verwechseln mit dem Hund vom Samstag.
Ich sah sie kurz an, ob sie das wirklich gesagt hatte, und musste sofort loslachen. Sie wusste genau, dass ich lachen würde. Sie lächelte. Sie konnte sich nur noch gefragt haben, würde ich sofort loslachen oder erst in einer halben Sekunde.
Völlig aus dem Stehgreif meinen Humor so genau zu treffen, und mir auch noch zuvorzukommen, das war schon eine Kunst. Wie kam sie so spontan darauf? Ob sie darauf schon hingearbeitet hatte und mich sogar absichtlich dazu gebracht hatte, von el pero del sábado anzufangen? Wie gut sie mich inzwischen kannte. Mein Gehirn arbeitete wahnsinnig schnell und es störte mich selber oft sehr, dass mir bei jedem Satz solche Wortspielereien durch den Kopf gingen. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie mir tatsächlich zuvorkommen könnte. Und mehr noch, sie hatte es darauf angelegt, mich auf diesem Gebiet zu übertrumpfen. Uneingeschränkt musste ich ihr Respekt zollen. Ein Lächeln in Buenos Aires.
Danach folgte ein kurzer Moment der Unsicherheit. Es ging nicht plötzlich mehr um den Samstag. In der Luft lag etwas anderes. Wenn wir uns jetzt nicht berührten oder wenigstens tief in die Augen sahen - dann würden wir es wohl nie tun. Wenn wir uns verlieben würden, dann entweder jetzt in dieser S-Bahn oder gar nicht.

Schade, dachte ich mir. Schade, und ausgerechnet an mir musste das jetzt liegen. Schon ein paar Tage vorher war mir klargeworden, dass es an mir lag. Ich würde mich nicht in sie verlieben können.
Als wir in El Tigre ankamen, wurde mir klar, dass sie dieses Ausflugsziel mit Absicht ausgesucht hatte. Es war ausgeschlossen, dass es in Buenos Aires einen noch romatischeren Ort zum Verlieben gab.
Ich war derjenige, der nicht offen für sie war. Warum nicht? Ein Mädchen, das noch besser zu mir passte, konnte es nicht geben! Sie schminkte sich nicht, sprach fünf Sprachen, war stolz auf ihre indianische Herkunft, dokumentierte auf Kassette Geschichten ihrer Grosseltern und war es wie ich gewohnt, ein völlig unabhängiges und eigenständiges Leben zu leben. Ich fand sie wunderschön mit ihren langen schwarzen Haaren, ihrer schlanken Figur und ihrem klaren Gesicht einer Mischung zwischen Europäern und hellhäutigen Mapuche-Indianern. Wir verstanden uns auf Anhieb und sie hatte sich mit dem Satz que no es el perro del sábado regelrecht gekrönt. Es war so schade, dass es an mir lag. Was war der Grund?
Wahrscheinlich wieder mal Viktoria. Ob ich wieder nach Europa sollte? Verloren gingen wir unter schattigen grünen Bäumen in El Tigre spazieren, eine alte eiserne zweistöckige Obsthalle am grünen Ufer des Río Luján, einem ruhigen Zufluss des Río de la Plata. Ein paar Holzboote lagen im Wasser.

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Google

Suchfunktion im Roman: Die Navigation im Roman hat selbst keine Suchfunktion. Wer innerhalb des Romans bestimmte Begriffe sucht, kann hier im Suchfeld bei Google den Begriff "wissenladen" und den Suchbegriff (beispielsweise den Namen eines Ortes) eingeben. Das sollte halbwegs funktionieren. Wenn "wissenladen" alleine nicht reicht, dann noch "cayenne" dazu eingeben.

Für diejenigen, die die gesamte Textdatei lieber am Stück lesen wollen, und nicht jede Seite einzeln, gibt es 3 Word-Dateien, entsprechend den 3 Bänden, die von unserem Server auf Festplatte heruntergeladen werden können. Dies sind die reinen Text-Dateien, ohne Bilder drin. Nur mit Platzhaltern für Bilder. Die Word-Datei (Word 6.0/95 für windows) ist etwa 2001-2003 zusammengeschrieben worden, letzte Änderungen sind von 2005.
cayenne-band1.doc.
cayenne-band2.doc.
cayenne-band3.doc.


Hier noch ein paar weitere interessante Links:

 

www.planetposter.de - Posterverlag von Francisco Welter-Schultes und Ralph Krätzner

www.wissenladen.de - Der Onlineshop mit den guten Ideen

www.wissenladen.de/maps - übersichtliche Landkarten von allen Ländern der Welt

www.animalbase.org - Frühe zoologische Literatur online

www.hausdernatur.de - Museum Haus der Natur in Cismar an der Ostsee

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www.wale-und-delfine.de - Wale und Delfine

 

 


Buenos Aires, Argentinien: Plaza de Mayo im Zentrum der Stadt. Hier trafen sich die Mütter der verschwundenen Argentinier, um die Militärdiktatur zu demoralisieren. Es waren Frauen, die Argentiniens Militärs in die Knie gezwungen hatten.

 

 

 

 

Der Roman Umweg nach Cayenne ist eine Fortsetzungsgeschichte in drei Bänden und basiert auf einer authentischen Geschichte (autobiographisch von Francisco Welter-Schultes).
Band 1 spielt von Mitte der 60er Jahre bis 1980 in Deutschland (erst Bayern, dann Mainz), Band 2 von 1980 bis 1987 in Deutschland (hauptsächlich in der Kleinstadt Neustadt in Holstein) mit einigen Passagen in der Türkei und in Griechenland (vor allem auf Kreta), Band 3 von 1987-1990 spielt hauptsächlich in Nord- und Südamerika (USA über Mexico bis nach Feuerland und dann Atlantikküste entlang nach Brasilien). Ganz am Ende kommen wir dann auch mal tatsächlich nach Cayenne, Französisch-Guyana. Der Titel ist also nicht ganz aus der Luft gegriffen. Aber bis wir nach Cayenne kommen, dauert es einige Zeit, und ein paar kleine Umwege müssen schon in Kauf genommen werden.
Zusammengeschrieben wurde das Ganze so etwa zwischen 2001 und 2003.
Alle Personen, die im Text vorkommen, sind Personen des wirklichen Lebens. Um ihre Privatsphäre zu schützen, wurden die meisten von ihnen unter Pseudonymen genannt. Ausser bei Personen des öffentlichen Lebens.

Wir hoffen, die Navigation funktioniert halbwegs und wünschen viel Spass beim Lesen.

Für diejenigen, die einen kurzen Blick auf eine Landkarte werfen wollen, was ja mal ganz nützlich sein kann, hier eine kleine Auswahl von Landkarten aus Europa:
Bosnien und Herzegowina   Deutschland   Frankreich   Griechenland   Italien   Österreich   Rumänien   Russland  Schweden   Spanien   Türkei



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